Märchen

Und gleich wurde es wieder lebendig auf der Insel im Maunzenweiher. Zuerst kam der Froschkönig mit der Krötenkönigin (sie brauchten nur aus dem Weiher zu steigen, denn der war ihr Königreich ), Haselmaus und Igel raschelten heran, die älteste Fledermaus des Stadtwaldes flatterte herbei und hängte sich kopfunter an einen Ast, ein Maulwurf kletterte aus seinem Hügel, angetan mit seinem feinsten schwarzen Pelz, der Uhu kam mit dem Waldkauz, der Hirsch schwamm zur Insel, Fuchs und Katze balancierten über einen dünnen Baumstamm, der wie eine Brücke auf dem Wasser lag, Käfer, Grillen und Schnaken schwirrten und brummten heran, die Kreuzspinne ließ sich an einem Faden herunter, und alle setzten sich im Kreis auf die kleine Tanzwiese inmitten der Insel. Sie waren ganz still, blickten auf Leons Fuß, der aussah, als sei er von Ebenholz und warteten. Schließlich sahen sie ein kleines Licht zwischen den Baumwurzeln, ein Zwergenweiblein humpelte herbei, uralt und gebückt und setzte sich auf einen Fliegenpilz, und gerade da, als der Oberelf die Ratsversammlung eröffnen wollte, denn das war sie, senkte sich mitten im Kreis eine kleine Wolke nieder, die fast so aussah wie Lia in ihrem Nebeltuch. Und wirklich war es eine Elfe mit weißem Haar und fast durchsichtig, die da die Spinnwebhülle zusammenfaltete und in einen Silberbeutel steckte. Aber sie war elfenalt, wenn auch noch immer wunderschön. Alle, die hier versammelt waren, standen auf und verneigten sich vor ihr. Ein feiner Glanz hüllte sie ein und aus ihrem Haar, es war silberweiß und umgab sie wie ein Schleier, schien Sternenstaub auf die Wiese zu fallen. Sie sah ernst in die Runde und stellte sich neben Leon mit dem Olchsfuss. „Es ist also soweit“ sagte sie so leise, daß man eigentlich nichts hörte als ein Seufzen, aber das drang mitten ins Herz. Und da wußte auch Leon, wer neben ihm stand. Das war nicht nur eine alte, weise Elfe, das war eine der zwölf Feen, denn auch die Feen kommen aus dem Elfengeschlecht, eine der zwölf Wunschfeen, die, wenn die Eltern sie bitten, den Kindern ihre Geschenke bringen: Schönheit und frohen Sinn, Gesundheit und Klugheit, klare Augen, sanfte Hände, leichte Füße, süße Stimmen und was der Feengaben mehr sind.

Menschenkinder, die so begabt werden, teilen den anderen Menschen von ihren Gaben mit. Und wenn Du ein Bild siehst, das besonders leuchtet, eine Musik hörst, die dich ganz traurig und ganz froh macht, wenn Du ein Gedicht liest, das Dir wohltut, dann weißt Du, daß ein Feenwunsch in Erfüllung gegangen ist. Eine der zwölf Feen aber kann etwas schenken, das besonders wertvoll ist: Sie gibt dem Kind einen Kuss auf die Stirn und schenkt ihm damit ein liebevolles Herz. Und ein solches Kind umgibt ein sanfter Schein, wie Sternenlicht. Das kommt von dem Staub, der der Fee bei dem Kuss aus den Haaren fällt.

Im Elfenreich werden viele Geschichten von der Fee erzählt, die immer „die Zwölfte“ genannt wird, aber seit mehr als hundert Jahren nun war sie immer seltener an die Wiegen oder Betten der Neugeborenen gekommen, und im Elfenrat hatte man sie gar nicht mehr gesehen. Und das hatte seinen Grund: Vor beinahe zweihundert Jahren nämlich war einer ihrer Söhne von einem Olch gebissen worden, und die bösen Gifte hatten sich so schnell ausgebreitet, daß er in der nächsten Nacht, denn da war der Mond voll, mit einem Schrei, schwarz und aufgedunsen, in der Erde versank. Alle Feenkünste hatten nichts genutzt, er war verloren. Und deshalb hatte die Zwölfte heute ihr Zimmer im Gipfel der alten Buche verlassen, aus dessen Fenstern sie alles sehen konnte, was im weiten Umkreis geschah. Sie war nicht mehr so mächtig wie früher, sie spürte, daß die Dunkelheit in der Welt zunahm, daß ein Mensch mit kaltem Herzen oft mehr galt als einer mit einem liebevollen, und die Menschen riefen sie immer seltener – und deshalb nahmen ihre Kräfte ab.

Nun aber stand sie neben Leon, dem Elfenprinzen, dem alle zwölf Feen ihre Gaben in die Wiege gelegt hatten, neben Leon, der ausersehen war, einmal Elfenkönig zu werden und der nun die Olchkrankheit in sich trug.

„Es ist also soweit!“ seufzte sie – oder hatte sie es leise gesungen? „Die Olche rufen um Hilfe. Und wenn sie die Hilfe nicht bald bekommen, werden sie das Elfenreich zerstören. Denn sie können, schwarz wie sie in ihren Herzen sind, nur Böses tun. Aber trotzdem suchen sie das Licht, das, könnte es in ihr Herz fallen, sie befreien würde. Ich habe lange nachgedacht, und ich glaube, ich weiß, wie man dir Leon und den armen Olchen helfen kann. Vielleicht war es mein Sohn, Orbo, der sich hier ins Mondlicht gewagt hat, und der jetzt gelähmt dort in der Erde steckt. Wenn ein Sonnenstrahl ihn berührt, wird er zu Asche verbrennen, wenn wir aber alle unsere Kräfte vereinen, können wir ihn vielleicht erlösen und heilen. Und auch dich, Prinz Leon, der du einmal König sein sollst im Elfenreich. – Hört also:

Zu einer Zeit, als die Erde noch jung war, war sie ganz eingehüllt in Sonnenstaub und fand sich so schön, daß sie sich immer eitler um sich selbst drehte, um ordentlich zu funkeln und zu glänzen. Sie merkte gar nicht, daß sie sich dabei immer weiter von ihrer Mutter, der Sonne, entfernte. Und als sie endlich anhielt, war sie so weit weg von der Sonne, daß die nur noch in der Ferne wie ein leuchtendes Gesicht zu sehen war. Durch die rasende Drehung hatten sich starke Winde erhoben, die bliesen den Sonnenstaub zusammen und machten daraus einen Ball. Da der Ball sehr heiß war, ließen sie ihn fallen. Er fiel in den großen Ozean, der aus den Tränen der Erde entstanden war, denn sie fühlte sich ganz verlassen, so weit weg von der Mutter – und kalt war ihr auch. Sie machte sich aus Schnee und Eis eine Mütze und Socken und drehte sich – langsam – um sich selbst, damit die Sonne sie aus der Ferne überall wärmen könnte. Die Winde aber, in ihrem Übermut, fischten den Sonnenstaubball, der nun abgekühlt war und silbern glänzte, aus dem Meer und warfen ihn mit aller Kraft in die Dunkelheit. Und der Ball flog hoch, weit weit von der Erde weg, bis er über sich die Sonne sehen konnte. Er sah nach der Erde zurück, die blau und schön unter ihm lag und sich immer noch fürchtete, weil eine Seite immer wieder im Dunkeln lag, wie sie sich auch drehte. Der Ball bekam Mitleid. Und obwohl er sehr abgekühlt war durch das Bad im Ozean, hatte er doch noch genug Kraft, um sein silbernes Licht in die Erddunkelheit zu schicken. Aber seine Sehnsucht nach der Sonne war so stark, daß er sich ihr immer wieder zuwenden mußte, bis er die Erde nicht mehr sah. Da er aber die Erde genau so stark liebte, wandte er sich doch immer wieder um und erhellte die Nacht, und das tut er noch heute. Vom Mond und auch von den Sternen fallen immer wieder Stäubchen auf die Erde, die wir Feen aufsammeln und gut verwahren, denn starke Kräfte sind in ihnen. Auch Sonnenstaub fällt noch manchmal auf die Erde, wenn auch sehr selten. Die Maler in früheren Zeiten wussten davon, und wenn es einem gelang, ein wenig Sonnenstaub auf sein Bild zu tupfen, fing der Himmel auf dem Bilde an, golden zu leuchten.

Die Zwerge haben, glaube ich, ein Sonnenstäubchen gefunden. Es glänzt über dem Thron des Zwergenkönigs, und ich bin ganz sicher, daß die kleine Lia einmal ein Sonnenstäubchen berührt hat, denn eines Tages hatte sie goldene Hände. Wenn wir ein Sonnenstäubchen fänden, könnte ich es zu ganz ganz feinem Staub zermahlen, damit ein goldenes Brot backen, und wer auch nur eine Krume von diesem Brot äße, würde bald spüren, wie sich das Licht in seinem Innern ausbreitet und gegen die schwarzen Kräfte kämpft, bis sie ganz besiegt sind. Ich habe aus allen meinen Fenstern geschaut und konnte nirgends ein Sonnenstäubchen sehen. Wenn einer von euch etwas weiß, soll er jetzt sprechen.“ Die leise Melodie war zu Ende.

Alle im Rat Versammelten waren erst einmal still, und dann fingen alle gleichzeitig an zu reden, und da jeder hören wollte, was der Andere gesagt hatte, waren alle zur gleichen Zeit wieder still. Alle aber hatten dasselbe gesagt, nämlich, daß sie nicht wüßten, wo heute ein Sonnenstäubchen zu finden sei, wo man doch seit vielen hundert Jahren keines mehr gesehen hätte. Nur Leon, dem der Fuß arg weh tat und der deshalb gerade die Zähne zusammenbeißen mußte, hatte geschwiegen. Aber nun tat er die Zähne auseinander: „Am besten fragen wir Lia Goldhand!“ Und dann biss er die Zähne wieder zusammen. Die Zwölfte machte eine kurze Handbewegung und schon flog der Uhu los zur Buche am Kreuzweg, in deren Wipfel die Fee ihre Wohnung hatte und in deren Fuß Lia mit den Federhaaren zu Hause war. Der Uhu setzte sich auf einen Ast, krächzte dreimal kurz, und als hätte sie auf dieses Zeichen gewartet, kam Lia, die Schöne, wie eine kleine weiße Wolke aus einer der Baumtüren geschwebt, setzte sich auf des Uhus Rücken und ließ sich zum Versammlungsplatz tragen.

Mitten in den Kreis trug sie der Uhu, wo sie sich nach allen Seiten verneigte. Sie hob die goldenen Hände hoch ins Mondlicht, fing einen Strahl, brach ihn ab – und das können nur goldhändige Elfen – und wickelte ihn um den Fuß des zähnezusammenbeißenden Leon vom Blautopf. Das kühlte, und der schlimme Schmerz verging. Und nun erst fing Lia, der der Uhu auf dem Flug von den Sonnenstäubchen berichtet hatte und daß sie allein Leon und die Olche und damit die Elfen und vielleicht die ganze Welt retten konnte, nun erst fing Lia mit den goldenen Händen, Lia mit dem lustigen Federhaarschopf und dem liebevollen Herzen an zu erzählen, wie sie zu ihren goldenen Händen gekommen war.

Und das ist die Geschichte:

„Als ich noch sehr klein war, waren Erdbeeren meine Lieblingsspeise, ( was hat das nun mit dem Sonnenstäubchen zu tun, wirst Du Dich fragen – ich weiß es auch noch nicht, hören wir also zu! ) und deshalb ließ ich mich oft von dem Goldkäfer in einen Garten tragen, in dem besonders schöne Erdbeerbüsche wuchsen, deren kleine, süße Früchte vom Frühjahr bis zum Spätherbst reiften. Dieser Garten gehörte einem alten Mann, der die Pflanzen liebte und hegte, die seltensten Blumen wuchsen da, die schönsten Früchte, Goldfische schwammen in einem kleinen Teich, Bienen hatten da ihr Haus, in dem sie die Waben mit goldenem Honig füllten, Vögel nisteten in allen Bäumen, oft kamen die Blumenelfen, um dort die Nächte hindurch zu musizieren und zu tanzen, und oft legten wir uns zum Schlafen in eine der Blütenknospen. Der alte Mann blieb oft bis spät in die Nacht hinein in seinem Garten, aber er störte uns nie. Manchmal zog er eine goldene Uhr aus der Tasche, und wenn er deren Deckel aufspringen ließ, spielte sie eine ganz feine kleine Melodie. Wenn er den Deckel zudrückte, wurde es wieder still. Dann seufzte er, stand auf und sagte: „Leb‘ wohl, mein Paradiesgärtlein!“ und ging fort.

An einem besonders schönen Sommerabend, als der Mond gerade aufgegangen war, kroch ich aus der Rosenknospe, in der ich tagsüber geschlafen hatte, hervor, schüttelte den goldenen Blütenstaub ab und sah direkt vor mir eine glänzende, runde Scheibe und hörte die feine Tanzweise. Ich konnte der Versuchung nicht widerstehen und sprang auf das Uhrglas, das zum Tanzen und Drehen wie gemacht schien.

Aber gerade da klappte der alte Mann, der mich ja nicht sehen konnte, den Deckel zu, und ich war gefangen. Ich drückte mit beiden Händen fest gegen den goldenen Deckel, aber ich war zu schwach. Da saß ich nun und hörte dem Ticken zu und dem Klicken, dem Schnurren und Surren. Ich saß wie in einer Schiffschaukel am Rand der Uhr, Zwischen Glas und Deckel, und das war lustig, und ich wartete darauf, daß der alte Mann wieder auf seine Uhr gucken würde, denn Menschen teilen Tag und Nacht nicht ein wie wir, die wir nur in den Himmel sehen müssen, Menschen brauchen dazu eine Uhr, und manchmal fängt ihr Tag schon an, wenn es noch Nacht ist. Aber dieser Mensch ließ die Uhr in der Tasche stecken, zog, zu Hause angekommen, das Kleidungsstück aus, und dann hörte ich ihn nicht mehr. Und nachdem ich mir ganz viele goldene Gedanken gemacht hatte, denn ich war ja in einer goldenen Uhr gefangen, schlief ich ein – und das kurz nach Mitternacht und obwohl es immerzu tickte und klickte und schnurrte und surrte und scharrte und schnarrte. Und dann wachte ich auf, weil die Uhr wieder anfing zu schaukeln. Aber um mich herum hörte ich kein Bienengesumm oder Vogelgezwitscher, sondern Hupen und Tuten und Schreien und Quietschen, es stank fürchterlich, aber bald wurde es still, und es roch nur noch ein wenig staubig und schaukelte nur noch wenig, und ich schlief wieder ein.

Ich erwachte mit einem Ruck, rutschte auf die Glasplatte, der Deckel wurde geöffnet, die Melodie ertönte, und obwohl wir gar nicht im Garten waren, sagte der seltsame alte Mann: „Leb‘ wohl, mein Paradiesgärtlein, morgen sehen wir uns wieder.“ Wir waren in einem großen Saal mit hohen Fenstern, aber trotzdem war es nicht zu hell, und von der Wand, vor der wir standen, leuchtete mir der schönste Garten entgegen, den ich je gesehen hatte. Menschen und Engel, Feen und Elfen waren da beieinander, musizierten und erzählten. Blumen, Kräuter und Obstbäume wuchsen da – auch ein Erdbeerbusch mit weißen Blüten und herrlichen, reifen Früchten, eine Königin, schön wie eine Fee, im blauen Gewand mit goldener Krone saß auf einem roten Kissen und blätterte in einem dicken Buch, mit goldenem Löffel schöpfte ein Mädchen goldenes Wasser aus einem Marmorbrunnen. Das alles schien so lebendig, daß ich sofort in den Garten springen wollte, aber das ging nicht, denn der Garten war nur gemalt.

Ich setzte mich auf den goldenen Bilderrahmen, und da ließ der Gärtner die Uhr wieder zuschnappen und ging weg, und in dem ganzen großen Haus, in dem gar keine Menschen wohnten, sondern nur Bilder, gingen die Lichter aus. Aber das Bild vom Paradiesgärtlein war das allerschönste. Der Himmel war so blau und still, ich meinte die Vögel zwitschern zu hören, die Engelsflügel schimmerten wie der Regenbogen, die Erdbeeren schienen zu duften und da, gerade als ich meinte, mir doch eine pflücken zu können, da sah ich den Olch !

Er saß ganz nahe bei dem Erdbeerbusch unter einem Baumstamm, dem ein frisches Reis aufgepfropft war, und sah eigentlich gar nicht so schwarz und böse aus, aber vielleicht kam das von dem goldenen Schein, der von der Krone der Königin und aus dem Brunnen mit dem Goldwasser kam. Das war wirklich sonderbar. Je dunkler es wurde, desto stärker leuchtete das Bild. Ich hatte große Lust, meine Hände in das Goldwasser zu tauchen, denn es sah gar nicht mehr aus wie gemalt – und so kam es, daß ich meine Hände auf das Bild legte, dort, wo der Marmorbrunnen gemalt war, und sie tauchten tief ein in den Brunnen, und mit einem Mal, war ich mitten unter den Gestalten, eine Frau pflückte Früchte von einem Baum und lud mich ein, davon zu kosten, die Blumen dufteten mir zu, die Königin sah mich freundlich an, und ich durfte aus ihrem Becher einen Schluck von dem Goldwasser trinken, das süßer schmeckte als Nektar und stärker duftete als alle Blumen. Und gerade als ich getrunken hatte, schien der Mond durch eines der Fenster, schickte einen Strahl zu mir, und ehe ich wußte, wie mir geschah, saß ich in der Rosenknospe, sah vor mir den alten Mann, der gerade seine Uhr aufschnappen ließ, die Melodie spielte, das glatte Glas funkelte verlockend, aber diesmal sprang ich nicht, und der alte Mann sagte: „Leb‘ wohl, mein Paradiesgärtlein, morgen sehen wir uns wieder.“

Da wußte ich nicht, ob ich das alles nur geträumt hatte, und da kam auch schon mein Leuchtkäfer, um mich zur Elfenschule zu tragen und brummte ein wenig, weil er gestern vergeblich nach mir gesucht hätte. Der Oberelf machte, als er mich sah, auch ein brummiges Gesicht, aber dann gab ich ihm die Hand, und plötzlich wurde er freundlich, ja fast fröhlich, und da sah ich, daß meine Hände ganz golden waren.“ So sprach Lia mit den goldenen Händen, die in einem goldenen Traum im Paradiesgärtlein gewesen war.

Den Garten und den alten Mann hatte es wirklich gegeben, das konnte der Oberelf bestätigen.Der alte Mann hatte seine Erdenreise nun schon lange beendet. Den Garten gab es noch, und er war immer noch schön, denn die Elfen kümmerten sich um ihn, und für viele Kinder, die auf dem Sachsenhäuser Berg wohnten, war er ein geheimer Ort, wo sie spielen, träumen und reden und singen konnten, ohne je von einem Erwachsenen gestört zu werden. Das Erstaunlichste war, daß die größten Raufbolde, sobald sie durch das Loch in der Hecke gekrochen waren, die den Garten hoch und dicht umgab, ganz friedlich und vernünftig wurden. Vielleicht war es ein Zaubergarten, aber einen goldenen Brunnen gab es da nicht.

Der Kater, der mit seinen leuchtenden Nachtaugen bis jetzt still in die Runde geguckt hatte, strich sich mit einer Pfote über den Schnurrbart und hielt sie dann in die Höhe, denn ihm war etwas eingefallen. Der Oberelf, der zu dem Schluß gekommen war, daß entweder das Uhrengold, die goldenen Gedanken oder das Goldwasser (aber das gab’s ja wohl nur im Traum?) die Hände vergoldet haben konnten (Goldfische, Goldkäfer oder Blütenstaub und Honig konnte man wohl ausschließen) – er war etwas langsam im Denken, aber Reigentanzen konnte niemand so gut wie er! – der Oberelf erteilte dem Kater ( der übrigens Minna hieß, was er gerne verschwieg) das Wort.

„Ich kannte den alten Mann gut!“ maunzte er.“ Eines Winters, ich war noch ganz klein, alles war zugeschneit, Futter gab’s nicht, es war so kalt, daß mir beinahe die Pfoten abgefroren wären, da hob mich der alte Mann hoch, steckte mich unter seinen Mantel und nahm mich mit zu sich nach Hause. Er hatte gerade im Garten ein Vogelhaus aufgestellt. Bei ihm war es warm und roch gut nach Milch.“ – Hier wurde die Versammlung etwas unruhig, denn Milch und Vogelhäuser interessierten niemanden, aber die Zwölfte hob die Hand, da wurden alle wieder still, und der Kater fuhr fort: „Und außerdem roch ich Mäuse! Der alte Mann wohnte allein in einem alten Haus, und ich konnte gleich ein paar Mauselöcher entdecken, wenn ich auch gerade keine Jagdlust hatte, denn ich war satt von der Milch und müde.

Der alte Mann setzte sich neben mich auf das Sofa, kraulte mir den Nacken und fing an, mit mir zu reden. Natürlich verstand er, wie alle Menschen, die Katzensprache nur unvollkommen, aber er brauchte wohl eher jemanden, der ihm zuhörte und ein gelegentliches „Mau“ genügte ihm als Antwort. Und so erzählte er mir von seinem Paradiesgärtlein, in dem die Blumen nie verwelkten und wo der Winter keine Macht hätte. „Jeden Tag, wenn ich mit der Arbeit fertig bin, schaue ich es mir noch einmal an und freu mich dran.“ So sagte er. „Aber jetzt habe ich große Angst um das Gärtlein, denn gestern ist im Keller ein Mauseloch entdeckt worden“ – ich war gerade dabei einzuschlafen, aber da wurde ich sofort wieder hellwach – „und ich hoffe nur, daß die Mäuse in ihrem Unverstand nicht daran herumknabbern. Ich will ihnen gerne ein ganzes Rad Käse schenken, wenn sie nur versprechen, das Städtel für immer zu verlassen.“ Das schien mir doch etwas übertrieben, denn wo bleibt für uns Katzen der Spaß, wenn die Mäuse die Stadt verlassen! Wie konnte man überhaupt diese Riesenstadt Städtel nennen und überhaupt, wie können Mäuse an einem Gärtlein herumknabbern?! Ich schlief nun wirklich ein. Am nächsten Morgen lief ich, satt und warm, dem alten Mann ein ganzes Stück hinterher, denn ein sonniger Garten mitten im Winter, könnte auch mir gefallen. Aber der Mann ging mit seiner Aktentasche bis zum Fluß hinunter und dann immer am Ufer entlang, und weil da gerade eine fette Ratte auftauchte, die ich jagen mußte – ich war noch sehr jung – , verlor ich ihn aus den Augen.“

Minna, der Kater, legte zierlich die Pfoten übereinander zum Zeichen, daß er nichts mehr zu sagen habe und wandte seinen Kopf langsam der Maus zu, der sich ein wenig die Nackenhaare aufstellten, als sie die grünlich schimmernden Augen auf sich gerichtet sah. Sie quiekte leise vor Schreck und ärgerte sich gleichzeitig, denn sie wußte ja, daß weder Fuchs noch Uhu oder Katze ihr hier etwas tun würden. Aber es war alte Sitte, daß die großen die kleinen Tiere bei Ratsversammlungen niemals direkt ansahen. Nun, dies war eine außerordentliche Versammlung, in der Außerordentliches geschah. Die Maus blinzelte ein wenig und versuchte, würdig auszusehen. Dann stieß sie einige schrille Pfiffe aus, und schon begann es im Wald ringsum zu rascheln, man hörte das Trappeln von vielen kleinen Füßen, die nach allen Seiten davoneilten. „Ich habe meine Boten ausgesandt, um den König der Stadtmäuse herzubitten, wenn ihr erlaubt. Er ist nicht weit von hier, denn heute ist das alljährliche große Vollmond-Waldmausfest, und der König ehrt uns mit seinem Besuch.“ Und kaum hatte die Maus diese Worte ausgesprochen, als auch schon der Mausekönig in seinem feinen grauen Pelz mit einer Krone auf dem Kopf, die die Untertanen seines Ur-Ur-Urgroßvaters zierlich aus einem Käse ausgebissen hatten und die nun ganz hart und golden war und kaum noch roch, eine tiefe Reverenz vor der Zwölften machte, die sich auch verneigte, und pfeifend und quiekend erzählte ihm die Waldmaus, was er wissen mußte. Das ging schnell, denn Mäuse machen untereinander nicht viele Worte.

„Ein Rad Käse, damit die Mäuse das Städtel verlassen und das Paradiesgärtlein nicht anknabbern. Ja! Das ist doch ganz einfach!“ fiepte der Mausekönig. „Ich erinnere mich noch wie heute an diesen schlimmen Winter, als wir im Garten des Städel tatsächlich ein ganzes Rad Käse fanden mit einem Brief, in dem wir gebeten wurden, doch das Städel zu verlassen. Wir hatten uns dort im Keller sehr schöne Nester gebaut aus altem Papier und hätten nie gedacht, daß uns jemand bemerken würde. Katzen gab es da nicht und Menschen kamen auch selten in diesen Keller. Nun, da wir entdeckt waren, mussten wir natürlich umziehen, denn die Menschen in ihrem Unverstand vergiften ganze Häuser, sobald sie einer Maus gewahr werden. Aber am Mainufer gibt es viele Gebäude wie das Städel, das eine Art Vorratshaus zu sein scheint, wo die Menschen altes Papier, Leinwände und Bretter aufbewahren, die mit Leinöl, Harz und Farbe bestrichen sind. Sie nennen solche Vorratshäuser Museen. Wir zogen also mit dem Käse in ein anderes „Museum“ ganz in der Nähe, in dem die Menschen, diese seltsamen Geschöpfe, alte Steine aufbewahren, und da sind wir bis heute.“

Und da geschah etwas Unerhörtes: Die Zwölfte ging auf den Mausekönig zu und gab ihm einen Kuss, dann bestreute sie ihn mit Sternenstaub ( sein Pelz wurde ganz silbern und blieb es bis heute ), worauf er sich ganz leicht fühlte, nahm ihn bei der Pfote und flog mit ihm davon.